ZuschauerInnen-Resonanzen

 

Theaterkritik von Emily Wick
Just Carpe Diem ! Interessant, Besonders , Cool ! – Ute Bansemir produziert
„Frühlings Erwachen“ als Jugendtragödie in moderner Version mit
charakterstarken Laienschauspielern.


Am 31.Januar führte die Theater-Peripherie in Frankfurt Bockenheim die Neuproduktion des
1891 verfassten Klassikers „Frühlings Erwachen – Eine Kindertragödie“ von Frank Wedekind
auf. Die Kindertragödie, die zur Wilhelminischen Kaiserzeit spielt, wurde modernisiert und in
die heutige Gesellschaft übertragen , wo man nicht mehr die Probleme der falschen
Aufklärung und den überauthoritären Zwang von Eltern und Lehrern hat, sondern einem die
Welt offen steht. Man hat unbegrenzte Möglichkeiten und so wächst der Druck, diese auch
alle und immer in vollen Zügen zu nutzen. Das Thema jedoch ist im Kern das gleiche wie vor
122 Jahren: Jugendliche zerbrechen an den Zwängen der Erwachsenenwelt.
Ute Bansemir stellt dabei das Erwachsenwerden in der heutigen Spaßgesellschaft unter dem
Druck der unendlichen Chancen dar und verknüpft diese Problematik mit den Themen
Migration und Integration in unserer Gesellschaft.
Dabei wird Originaltext mit aktueller Jugendsprache gemischt. So weiß man, wenn man den
Klassiker kennt, an welcher Szene man sich gerade befindet, versteht aber als Nicht-Kenner,
wovon die jeweilige Szene gerade handelt. Und so schafft es das Stück, dem Klassiker eine
nachvollziehbare Aktualität zu verleihen.
Das Ganze wird von moderner Partymusik, aber auch von Liebesliedern und Filmmusik aus
bekannten Liebesfilmen umrahmt, die einerseits das Partyleben der Jugendlichen, aber
andererseits den Wunsch nach perfekter Liebe repräsentieren. Wendla und Moritz singen
jeweils ein eigenes Lied, was auch Liebe zum Thema hat. Die Schauspieler tragen
Alltagskleidung mit Ausnahme des Chors, mit auffälligen Glitzershirts und Gürtel, auf denen
elektronisch die Schrift „Just Carpe Diem“ ( Lebe einfach den Tag ) durchläuft.
Die Bühne, auf der neun Jugendliche, Schüler und Studenten ,die das Schauspiel zu ihrem
Hobby gemacht haben, spielen, ist ebenerdig zu der ersten Zuschauerreihe und bezieht so
das Publikum automatisch in die Handlung mit ein. Dabei ist diese Bühne eher spartanisch
und schlicht eingerichtet, eine quadratische Erhöhung in der Mitte des Raumes stellt das
Zentrum des Schauspiels dar, alles in Schwarz gehalten, stehen das Schauspiel und die
Darsteller klar im Vordergrund. In der Mitte des Raumes befindet sich eine Empore, auf der
der Chor steht und so seine autoritäre und bestimmende Position im Stück einnimmt. Auch
auf Requisiten wird nicht viel Wert gelegt. Um eine Picknickdecke oder ein Bild darzustellen
oder eine Geschichte zu erzählen, werden Figuren und Formen mit einer Spraydose auf den
schwarzen Boden gesprüht.
ThePatricia Trageser und Emre Resuloglu als Wendla und Melchior spielen das überzeugende
und tragische Liebespaar, das nicht weiß, was es unter Liebe verstehen soll und schließlich
an einer ungeplanten Schwangerschaft zerbricht. Ihre Freunde Mohammad Salamat als
Melchiors bester Freund Moritz, Clara Schwarz als feierfreudige Ilse, Maurizio Pellizzon als
einer der Freunde von Moritz und Melchior, sowie Meltem Kilinc, deren Rolle als Martha
stark erweitert wurde. Sie stellt eine junge Muslimin dar, die mit dem Kontrast zwischen den
strikten Vorgaben ihrer Religion und dem modernen, zügellosen Leben der Gesellschaft
kämpft. Hatice Bayval, Evgeniya Genadieva und Nedy Marques Ferreira repräsentieren die
Autorität der heutigen Gesellschaft, die einen dazu drängt, ein besonderes, offenes und
cooles Leben zu führen: immer gut gelaunt sein, immer dabei sein. Sie ersetzen als Chor die
Autoritätspersonen des Dramas wie die Eltern (Frau Gabor, Herr Stiefel usw.) und die Lehrer.
Alle Darsteller haben keinerlei Schauspielausbildung und gehen eigentlich zur Schule oder
studieren. Dennoch verkörpern sie ihre Rolle überzeugend und vermitteln dem Publikum
ihre Texte sehr deutlich, außerdem bauen sie Kontakt zu ihm auf.
Besonders polarisierend war die Figur der Martha, die provokante Äußerungen über den
Islam und junge Muslime aussprach und deren Regeln kritisiert. Sie fragte sich, wozu die
Vorschriften gut sind, was Religion eigentlich für sie bedeutet und warum sich so viele
Menschen einer Religion anschließen, dann aber nicht danach leben.
Ist es okay, eine Muslimin in der Schlussszene des Stückes, mit einer amerikanischen Flagge
eingehüllt, zu zeigen? Das Publikum, das aus vielen Schülern mit muslimischem Hintergrund
bestand, fand dies und einige andere Darstellungen übertrieben, falsch und provokant. Und
so erhielt Meltem Kilinc als Martha nicht nur Applaus, sondern auch negative Zurufe. Und
zeigt das nicht, dass Themen wie Migration und Integration immer noch eine konfliktreiche
und polarisierende Rolle in unsere Gesellschaft haben?
Meltem Kilinic betonte im anschließenden Gespräch mit dem Publikum, dass sie nur eine
Rolle spielt, die zum Stück, aber keinesfalls zu ihrem persönlichen Leben gehört.
Am Ende der Vorstellung war das Publikum zwiegespalten, einige fanden das Stück zu
modern, zu schrill und zu weit weg vom Klassiker. Andere fanden die Vorstellung gelungen
und die Übertragung in die Neuzeit intelligent und gut gelöst.
In jedem Fall ist es ein Stück, das zum Nachdenken über die heutige Gesellschaft und die
Zeit, in der wir leben, anregt und aktuelle Probleme des Erwachsenwerdens werden
angesprochen. Ein Klassiker, der auch in unserer heutigen Zeit immer noch seinen Wert und
seine Aktualität hat.
Die Theater-Peripherie führt das Stück ab 1. März 2013 in Vormittags- und
Abendvorstellungen erneut in Frankfurt Bockenheim auf.



Theaterkritik von Isil-Sevin Isikili

Horizonte bei „Frühlings Erwachen“: Exkursion zum Theater Peripherie in Frankfurt Bockenheim

Am Mittwoch, den 15. Mai 2013 haben wir uns mit unseren zwei TutorInnen, Florian Seemann und Sarah Kloster, um 19 Uhr im Theater Peripherie in Frankfurt-Bockenheim getroffen, um das Stück „Frühlings Erwachen“ (nach Frank Wede-kind) zu sehen. Das Stück, das die Regisseurin Ute Bansemir gemeinsam mit den SchauspielerInnen, größtenteils SchülerIn-nen der Ziehenschule in Frankfurt, inhalt-lich und sprachlich an die heutige Zeit an-gepasst hatte, war vielen von uns Sti-pendiatInnen in der Originalfassung nicht bekannt. Dennoch begeis-terte uns die Per-formance der größtenteils jungen SchauspielerInnen. In ei-nem Gespräch mit den DarstellerInnen und der Regisseurin im Anschluss an die Vorstellung erfuhren wir von verschiede-nen Abwandlungen und Aktualisierungen, die am Stück vorgenommen wurden. Ute Bansemir erzählte uns auch von ihrer Arbeit am Theater im Allgemeinen sowie dem Anliegen des Theaters Peripherie, sich kreativ mit Migration auseinanderzu-setzen. Sowohl Frau Bansemir als auch die SchauspielerInnen, die sich einzeln vorstellten, beantworteten verschiedene Fra-gen aus dem Publikum. Dabei war zu be-obachten, welch gute Arbeitsatmosphäre in dem Theater herrscht und welch große Freude die SchauspielerInnen in ihren Proben im Sommer hatten. Die Darstelle-rInnen, die allesamt einen Migrationshin-tergrund haben, erzählten unter anderem von ihrem Weg zum Theater Peripherie und ihrem Interesse am Theaterspielen. Es befanden sich unter ihnen neben den SchülerInnen der Ziehenschule auch Stu-dentInnen verschiedener Fachrichtungen und Berufstätige. Interessant war hierbei, dass keiner von ihnen professionell schauspielert, für viele von ihnen war dieses Theaterstück die erste Theaterer-fahrung.
Da das Theater auch mit den Frankfurter Schulen zusammenar-beitet und immer wieder die Schulen an-schreibt, wenn es beispielsweise Schau-spielerInnen für neue Stücke sucht, war dieser informative als auch unterhaltsame Abend für uns angehenden Lehrkräfte auch aus der beruflichen Perspektive äu-ßerst interessant. Zudem eignet sich das Theater sehr gut für eine Exkursion mit der eigenen Klasse.